Cannabinoide in der Schmerzmedizin
Veröffentlicht: 18.März 2022
Author:Julia Soschinski
Wir danken Herrn Dr. Seibolt, Chefarzt der Algesiologikum Tagesklinik, für einen spannenden Vortrag über Cannabinoide in der Schmerztherapie in unserer letzten, wiederum sehr erfolgreichen Schmerzkonferenz. Der therapeutische Einsatz von Cannabinoiden in der Medizin ist nach wie vor ein sensibles Thema, welches mit einigen Vorurteilen und Missverständnissen behaftet ist. Umso wichtiger ist es, es aus neutraler Perspektive auf den therapeutischen Nutzen herunterzubrechen und die aktuelle Studienlage zu bewerten. Die Studienlage ist nach wie vor ausbaufähig, allerdings sind Ärzt*innen, die Cannabinoide zulasten der GKV verschreiben, seit 2017 dazu verpflichtet, an einer sogenannten Begleiterhebung zur Anwendung dieser Arzneimittel teilzunehmen. Aus dieser lassen sich folgende Schlussforderungen ziehen:
1. Wer verschreibt
Fast die Hälfte der Verschreibungen im beobachteten Zeitraum wurden von Anästhesiolog*innen (49%) veranlasst. Gefolgt werden sie mit 17 % von Allgemeinmedizinern, 12 % Neurolog*innen und 10 % Internist*innen. 56% der verordnenden Ärzt*innen führten die Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie.
2. Wofür wird verschrieben
73 % aller Verordnungen von Cannabis-Arzneien erfolgen zur Behandlung von Schmerzerkrankungen. Gemäß §31 Abs. 6 SGB V müssen vor der Verschreibung von Cannabinoiden alle zur Verfügung stehenden ambulanten und ggf. teilstationären sowie alternative medikamentöse Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft worden sein und seitens der GKV eine Genehmigung vorliegen. Eine Schmerzfreiheit kann in der Regel nicht hergestellt werden, aber die zugrundeliegenden Schmerzen werden unter Umständen weniger stark wahrgenommen. Auch eine Erleichterung bei schmerzbedingten Schlafstörungen kann festgestellt werden. Nicht alle Schmerztypen sprechen gleich gut auf Cannabinoide an. Eine Verschreibung kann vor allem bei neuropathischen Schmerzen, Spastiken, Multipler Sklerose und zur Begleitung einer Chemotherapie angezeigt sein; hier zeigen sich in den zu einzelnen Schmerzbildern durchgeführten klinischen Studien und unserer Erfahrung nach bisher gute Erfolge (Studienübersicht: cannabis-med.org/studies/study.php)
3. Nebenwirkungen
Häufige Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit und Schläfrigkeit. In knapp über der Hälfte der beobachteten Fälle traten keine Nebenwirkungen auf. Wir beobachten, dass die auftretenden Nebenwirkungen gewöhnlich nach kurzer Zeit der Einnahme sistieren.
4. Therapieerfolg
In den Fällen, in denen Cannabinoide zur Behandlung von Schmerzen verschrieben wurde, wurde der Therapieerfolg in 34 % als deutlich verbessert angegeben, in 36 % als moderat verbessert und in 28 % als unverändert. Fast 2/3 der Patient*innen profitieren.
5. Fazit
Unter der Prämisse einer sorgfältig erfolgten Abwägung gemäß den Vorgaben des Gesetzgebers, großer Erfahrung der/s behandelnden Therapeut*in und vollständig ausgeschöpften anderer zur Verfügung stehender Behandlungsmethoden, kann eine Verschreibung von Cannabinoiden als individueller Heilversuch die medikamentöse Schmerztherapie ergänzen.
(Quellen: Schmidt-Wolf G, Cremer-Schaeffer P. 3 Jahre Cannabis als Medizin – Zwischenergebnisse der Cannabisbegleiterhebung. Bundesgesundheitsblatt 2021; 64: 368-377 https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-021-03285-1/; Deutsche Schmerzgesellschaft: Cannabis in der Schmerzbehandlung https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/aktuelles/cannabis-in-der-schmerzbehandlung; https://www.cannabis-med.org/studies/study.php; eigene Darstellung)