Medikamentenabhängigkeit-Die schleichende Sucht

Veröffentlicht: 15.April 2024
Author:Julia Soschinski
Medikamentenabhängigkeit: Eine Herausforderung der modernen Medizin

Medikamente sind ein Segen für die moderne Medizin, doch sie bergen auch Risiken. Neben ihren erwünschten Wirkungen können sie auch unerwünschte Folgen haben, darunter die Entwicklung einer Medikamentenabhängigkeit. Diese Woche haben wir uns auf unserer Schmerzkonferenz mit diesem Thema auseinandergesetzt, um ein besseres Verständnis für die Problematik zu schaffen. Wir danken unserer Kollegin Anna Palme, Fachärztin für Anästhesiologie und Spezielle Schmerztherapie, für die umfangreiche Darstellung.

Was ist Medikamentenabhängigkeit?

Medikamentenabhängigkeit bezeichnet den Zustand, in dem eine Person trotz negativer Folgen ein unüberwindliches Verlangen nach einem bestimmten Medikament verspürt und den Konsum nicht kontrollieren kann. Dies kann sowohl physische als auch psychische Komponenten umfassen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Entwicklung einer Medikamentenabhängigkeit ist ein komplexer Prozess, der von verschiedenen individuellen und substanzspezifischen Faktoren beeinflusst wird. Lernerfahrungen, genetische Veranlagungen und psychische Erkrankungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Insbesondere junge Menschen und Personen mit vorbestehenden Suchterkrankungen sind gefährdet. Zudem können die Verfügbarkeit bestimmter Medikamente und ihre erwarteten Wirkungen im Gehirn und Körper das Abhängigkeitsrisiko erhöhen.

Symptome und Phasen der Medikamentenabhängigkeit

Der Übergang von einem bestimmungsgemäßen Gebrauch zu schädlichem Konsum und Abhängigkeit verläuft oft fließend und kann schwer zu erkennen sein. Es gibt verschiedene Phasen des Medikamentenkonsums, die von einem bestimmungsgemäßen Gebrauch bis hin zu schädlichem Konsum und Abhängigkeit reichen können. Typische Symptome einer Medikamentenabhängigkeit sind unter anderem ein starkes Verlangen nach der Substanz, Toleranzentwicklung, Entzugssymptome und die Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Konsums.

Opioide und die Opioidkrise in den USA:

Opioide sind eine Klasse von Medikamenten, die oft zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt werden. Sie wirken, indem sie an spezifische Rezeptoren im Gehirn und im Körper binden, um Schmerzsignale zu blockieren. Trotz ihrer Wirksamkeit bergen Opioide ein hohes Potenzial für Missbrauch und Abhängigkeit. Die USA sind von einer verheerenden Opioidkrise betroffen, die durch den übermäßigen Einsatz verschreibungspflichtiger Opioide, ursprünglich oft durch Unwissenheit über das Abhängigkeitspotenzial bei den verschreibenden Ärzt*innen, illegal hergestellte Opioide wie Heroin und synthetische Opioide wie Fentanyl verursacht wird. Diese Krise hat zu einem drastischen Anstieg von Überdosierungen und Todesfällen geführt. Trotz der Tatsache, dass die Opioidkrise in den USA stark präsent ist, ist Deutschland bisher weniger stark betroffen. Dennoch ist Vorsicht geboten, da eine zunehmende Verschreibung von Opioiden auch hierzulande potenzielle Risiken birgt.

Mögliche Hinweise auf einen Fehlgebrauch/eine Abhängigkeit von Opioiden
  • Wechselnde Schmerzlokalisationen, multilokuläre Ausbreitung/Generalisierung der Schmerzen, Transformation des Primärschmerzes unter laufender Therapie
  • Opioid-induzierte Hyperalgesie
  • Diskrepanz zwischen Schmerzangabe und Verhalten
  • Hoher Ruheschmerz
  • Fordern eines bestimmten Opioids, speziell von kurzwirksamen und/oder schnell anflutenden Opioiden
  • Opioideinnahme überwiegend zur Linderung von Nicht-Schmerz-Symptomen, z.B. Distress, Unruhe, Angst, Depression, Schlafstörung
  • Anhaltender Widerstand gegen Änderungen der Opioidtherapie trotz Wirkungslosigkeit/ Symptomen einer ärztlich unerwünschten psychotropen Wirkung, z.B. Euphorie, Sedierung, Angstlinderung/ dosisabhängiger Nebenwirkungen, z.B. Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen
  • Rezeptfälschungen
  • Stehlen, Borgen, nicht-plausibles Horten von Opioiden
  • Häufiger „Verlust“ von Rezepten
Benzodiazepine:

Benzodiazepine sind eine weitere Gruppe von Medikamenten, die zur Behandlung von Angstzuständen, Schlaflosigkeit und anderen Erkrankungen des zentralen Nervensystems eingesetzt werden. Sie wirken, indem sie die Aktivität bestimmter Neurotransmitter im Gehirn beeinflussen, was zu beruhigenden und entspannenden Effekten führt. Wie Opioide bergen auch Benzodiazepine ein hohes Potenzial für Missbrauch und Abhängigkeit, insbesondere bei langfristiger Anwendung. Der plötzliche Abbruch von Benzodiazepinen kann zu schwerwiegenden Entzugserscheinungen führen, daher ist eine sorgfältige Überwachung durch eine/n Ärzt*in erforderlich, wenn diese Medikamente eingenommen werden. Auch bei Benzodiazepinen ist es wichtig, alternative Behandlungsmöglichkeiten zu prüfen und eine angemessene Verschreibung und Anwendung zu gewährleisten, um das Risiko von Abhängigkeit und anderen Nebenwirkungen zu minimieren.

5-K-Regel bei Verordnung von Medikamenten mit Suchtpotenzial:
  • Klare Indikationen

Aufklärung des Patienten über das bestehende Abhängigkeitspotenzial

  • Kontraindikationen

u.a. keine Verschreibung an Patienten mit einer Abhängigkeitsanamnese

  • Korrekte Dosierung
  • Kurze Anwendung
  • Kein abruptes Absetzen
Behandlung und Prävention

Die Behandlung von Medikamentenabhängigkeit erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl körperliche als auch psychische Aspekte berücksichtigt. Dies kann eine Kombination aus medikamentöser Therapie, Psychotherapie und sozialer Unterstützung umfassen. Präventive Maßnahmen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, indem sie das Bewusstsein für die Risiken von Medikamentenmissbrauch schärfen und die Verschreibung und Verabreichung von Suchtstoffen kontrollieren.

Medikamentenabhängigkeit ist eine ernstzunehmende Herausforderung für die moderne Medizin. Durch ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Ursachen und Risikofaktoren sowie durch gezielte Prävention und Behandlung können wir jedoch dazu beitragen, das Problem einzudämmen und betroffenen Personen zu helfen, ein suchtfreies Leben zu führen.

Sollten Sie betroffen sein, lassen Sie sich helfen. Es gibt immer einen Weg.