Unsichtbarer Schmerz, echtes Leiden: Warum Ihr Rücken Alarm schlägt
Veröffentlicht: 20.Mai 2025
Author:Julia Soschinski
Kreuzschmerz verstehen: Was ist nicht-spezifischer Kreuzschmerz und was hilft wirklich?
Kreuzschmerz, also Schmerzen im unteren Rückenbereich zwischen Rippenbogen und Gesäßfalte, ist eine sehr häufige Erfahrung. Tatsächlich gilt er global und national als Volkskrankheit.
Viele Menschen sind irgendwann in ihrem Leben davon betroffen – in Deutschland erleben 80-85% der Bevölkerung mindestens einmal Rückenschmerzen. In Deutschland sind es über 61% der Menschen, wobei Frauen (65,5%) etwas häufiger betroffen sind als Männer (56,4%), besonders im Alter von 45-64 Jahren.
Rückenschmerzen können nicht nur sehr belastend sein, sondern stellen auch eine relevante volkswirtschaftliche Belastung dar.
Sie sind ein sehr häufiger Grund für den Besuch bei Ärztinnen und Ärzten und weltweit die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit.
Was bedeutet „nicht-spezifisch“?
Kreuzschmerzen werden nach Ursache und Dauer eingeteilt.
Beim nicht-spezifischen Kreuzschmerz – der bei 85-90% der Betroffenen vorliegt – findet sich keine eindeutige, spezifische Ursache, die gezielt/ ursächlich behandelt werden könnte. Das bedeutet nicht, dass die Schmerzen eingebildet sind, sondern dass keine schwerwiegende Erkrankung (wie ein Knochenbruch, eine Infektion oder ein Tumor) die Schmerzen verursacht.
Hinsichtlich der Dauer spricht man von:
- akut (< 6 Wochen)
- subakut (6-12 Wochen)
- chronisch (> 12 Wochen)
- rezidivierend, wenn Schmerzen nach einer längeren schmerzfreien Zeit wiederkehren
Wichtige Hinweise für Sie und Ihre Behandlerin und Ihren Behandler: Red und Yellow Flags!
Um sicherzugehen, dass keine spezifische, potenziell gefährliche Ursache vorliegt, achten Ärztinnen und Ärzte auf sogenannte „Red Flags“. Das sind Anzeichen, die auf ernste Probleme wie Knochenbrüche, Infektionen, Tumore oder schwerwiegende Nervenschäden hinweisen könnten. Diese sind jedoch selten.
Daneben gibt es die „Yellow Flags“. Diese beziehen sich nicht auf körperliche Befunde im klassischen Sinn, sondern auf psychische und soziale Faktoren, die beeinflussen können, wie Schmerz erlebt wird und wie er sich entwickelt. Dazu gehören beispielsweise:
- Schmerzbezogene Ängste und Vermeidungsverhalten
- Gefühle der Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit
- Depressive Verstimmung oder Stress
- Schlafstörungen
- Auch das Schmerzverhalten selbst (z.B. extreme Schonung oder Überaktivität trotz Schmerz) kann relevant sein
Diese Faktoren sind wichtig, weil sie das Risiko beeinflussen können, dass akute Schmerzen chronisch werden!
Mehr als nur die Wirbelsäule: Andere mögliche Ursachen und Risikofaktoren
Manchmal kommen Schmerzen im unteren Rücken auch von außerhalb der Wirbelsäule (extravertebragen). Dies ist zwar seltener (ca. 2% der Fälle in der primären ärztlichen Versorgung), aber Ihre Behandlerin/ Ihr Behandler wird auch an Ursachen denken, die zum Beispiel von Gefäßen, inneren Organen (Bauch, Becken), Nerven oder psychischen Erkrankungen herrühren können.
Neben den Yellow Flags gibt es weitere Risikofaktoren für die Entwicklung und Chronifizierung von Rückenschmerzen. Dazu zählen auch Faktoren am Arbeitsplatz:
- Blue Flags beziehen sich auf die individuelle Wahrnehmung des Arbeitsplatzes, z.B. geringe soziale Unterstützung oder Unzufriedenheit im Job.
- Black Flags beschreiben objektive Arbeitsbedingungen, wie schwere körperliche Arbeit, monotone Haltungen oder Vibrationen. Das Heben schwerer Lasten (> 25 kg oder > 25 Mal pro Tag) kann das Risiko für Kreuzschmerzen erhöhen.
Weitere wichtige Risikofaktoren sind eine bereits frühere Episode von Kreuzschmerzen (dies ist sogar der häufigste Risikofaktor für ein Wiederauftreten), sowie lebensstilbezogene Faktoren.
Bildgebung und Labor: Wann sind sie sinnvoll?
Für akute, nicht-spezifische Kreuzschmerzen ohne Hinweise auf gefährliche Verläufe (Red Flags) ist eine Bildgebung (wie Röntgen oder MRT) in der Regel NICHT empfohlen. Auch Laboruntersuchungen sind ohne spezifische Hinweise auf ernste Ursachen nicht notwendig. Die Leitlinien geben hierfür einen starken Empfehlungsgrad (A) (Link Leitlinie)
Warum nicht?
Oft zeigen Bilder Verschleißerscheinungen, die aber nicht unbedingt die Ursache Ihrer aktuellen Schmerzen sind. „Bild und Befinden passen oft nicht zusammen“. Eine frühzeitige Bildgebung ändert bei nicht-spezifischen Schmerzen nichts an der Behandlung und löst unnötige Sorgen aus.
Bildgebung und Labor sollten erst in Betracht gezogen werden, wenn die Schmerzen trotz leitliniengerechter Therapie länger anhalten (z.B. nach 4-6 Wochen) und die Aktivität einschränken oder schlimmer werden. Auch bei bestimmten Anzeichen (Red Flags) oder wenn eine spezielle Therapie geplant ist, kann eine Bildgebung früher notwendig sein.
Ganzheitliche Beurteilung und multidisziplinäre Behandlung
Da Kreuzschmerzen viele verschiedene Einflussfaktoren haben können (körperliche, seelische, soziale, arbeitsplatzbezogene – oft im sogenannten biopsychosozialen Modell betrachtet), ist eine umfassende Beurteilung wichtig.
Wenn nicht-spezifische Kreuzschmerzen trotz Behandlung länger anhalten (insbesondere über 12 Wochen oder auch schon nach 6 Wochen bei deutlichen psychosozialen oder arbeitsplatzbezogenen Risikofaktoren) oder wenn Sie stark im Alltag eingeschränkt sind oder lange arbeitsunfähig, wird ein multidisziplinäres Assessment empfohlen.
Das bedeutet, dass verschiedene Fachleute (Ärztinnen und Ärzte/ Psychologinnen und Psychologen/ Bewegungstherapeutinnen und -Therapeuten) gemeinsam Ihre Situation bewerten.
Dies kann die Grundlage für eine interdisziplinäre multimodale Therapie sein, bei der verschiedene Behandlungsansätze und Fachbereiche kombiniert werden (z.B. Bewegungstherapie, psychologische Unterstützung, Schmerztherapie, Aufklärung)
Studien belegen, dass die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie der Goldstandard in der Behandlung von chronischen Schmerzen ist.
Was bleibt für Sie im Alltag?
Das Wichtigste bei nicht-spezifischen Kreuzschmerzen ist:
- Frühzeitige Klärung: Ihr Ärztin/ Ihr Arzt schließt mit Ihnen gemeinsam ernste Ursachen (Red Flags) und andere spezifische Erkrankungen aus
- Fokus auf Aktivität: Eine zu starke Schonung ist oft nicht hilfreich. Wichtig ist eine aktive, auf Ihre Symptome abgestimmte Bewegung und Therapie; keine passiven Maßnahmen
- Stärkung Ihrer Selbstkompetenz: Verstehen Sie, wie Sie selbst Einfluss auf Ihre Schmerzen nehmen können. Es geht um „Hilfe zur Selbsthilfe“. Aufklärung und Beratung sind dabei zentral.
- Ganzheitlicher Blick: Berücksichtigen Sie, dass neben körperlichen Faktoren auch Stress, Sorgen, Schlaf oder Ihre Arbeit eine Rolle spielen können.
- Vermeiden Sie unnötige Maßnahmen: Nicht jede Untersuchung oder Behandlung ist immer notwendig oder hilfreich.
- Zusammenarbeit: Bei Bedarf ist die Zusammenarbeit verschiedener Fachgruppen (interdisziplinär) und die Kombination verschiedener Therapieansätze (multimodal) oft der beste Weg
Wenn Sie unter Kreuzschmerzen leiden, sprechen Sie uns gerne an. Gemeinsam können wir den besten Weg finden, die Schmerzen zu verstehen und aktiv damit umzugehen.