Der Zusammenhang zwischen Ernährung und chronischem Schmerz

Veröffentlicht: 18.Juli 2023
Author:Julia Soschinski
Der Zusammenhang zwischen Ernährung und chronischem Schmerz

Wir danken Frau Simone Dohmen, Oberärztin der Algesiologikum Tagesklinik, für eine spannende Schmerzkonferenz über die vielschichtige Beziehung zwischen Ernährung und chronischem Schmerz in der vergangenen Woche. In der heutigen Zeit ist die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung für unsere Gesundheit allgemein anerkannt.

Aber wie beeinflusst die Ernährung den chronischen Schmerz?

Wir haben mittlerweile eine schwierige Ausgangssituation bezüglich Ernährung in Deutschland. Die hauptsächliche Ernährungsform entspricht der „western diet“. Diese Ernährungsform besteht vornehmlich aus viel Zucker, hochverarbeiteten und energiedichten Lebensmittel, gesüßten Getränken und zu wenig Obst/Gemüse/Ballaststoffe. Daraus resultiert ein Übergewicht von >50% in der erwachsenen deutschen Bevölkerung. Jedoch kann auch eine kalorische Überernährung mit einer Unterversorgung mit essenziellen Nährstoffen einhergehen. Ursachen hierfür sind besonders steigende Lebensmittelpreise sowie Armut. Ziel sollte es daher zunächst sein, unsere Patient*innen wieder zu einer vollwertigen Ernährung entsprechend der Empfehlung der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung“ zurückzuführen. Orientiert man seine Ernährung an den 10 Regeln der DGE für gesunde Ernährung, ist das sicherlich der erste Schritt zu einer ausgewogenen Ernährung.

Insbesondere bei Schmerzpatient*innen zeigt sich die Ernährung verändert. Häufig trifft man Patient*innen an, die aufgrund von Schmerzen, Zeitmangel und Überforderung kaum noch in der Lage sind, eine vollwertige Ernährung umzusetzen. Auf der anderen Seite stehen die Patient*innen, die auch Ernährung als Behandlungsoption für sich erkennen. Jedoch kann dies schnell – besonders durch Eigenrecherche – zu weiteren Schwierigkeiten führen. Durch eine Flut an Informationen zu Ernährung sowohl von Fachleuten wie auch von Laien, die für jede/n Patient*in frei verfügbar ist, kommt es häufig zu Missverständnissen. Das Resultat sind verschiedenste Eliminationsdiäten, die im schlechtesten Fall sogar zu einer Verschlechterung als zu einer Verbesserung der Beschwerden führen. Darüber hinaus birgt dies die Gefahr der Mangelernährung.

Konkrete Nachweise hinsichtlich der Beeinflussung von Schmerz durch Ernährung zeigen aktuell nur vereinzelte klinische Studien. Davon sind nur wenige methodologisch hochwertig. Hier besteht sicherlich für die Zukunft noch Nachholbedarf. Dies ist insofern auch bedeutsam, um unsere Patient*innen wissenschaftlich fundiert anzuleiten. Besonders bei einer solch mehrdimensionalen Erkrankung wie dem chronischen Schmerz sind weitere Therapieoptionen unerlässlich. Die Auswirkungen der Ernährung auf chronische Schmerzen sind aber von Person zu Person unterschiedlich. Was für eine Person funktioniert, gilt möglicherweise nicht für andere. Daher sollte vor Beginn von Eliminationsdiäten oder anderen Ernährungsumstellungen bei vorbestehenden Erkrankungen ein/e Ärzt*in und im weiteren Verlauf eine DGE-zertifizierte Ernährungsberatung hinzugezogen werden.

Ein besonders interessanter Aspekt ist die Auswirkung von Mangelernährung und Unterernährung auf Schmerzpatient*innen.

Sowohl Unterernährung als auch Mangelernährung (diese kann auch bei übergewichtigen Patient*innen vorliegen) lässt sich bei chronischen Schmerzpatient*innen vermuten. Durch eine unzureichende Nährstoffzufuhr kann es nicht nur zu einer Schwächung des Immunsystems kommen. Auch können Fettsäuren fehlen, die zur Eindämmung von Entzündungssituationen hilfreich sind. Ein Proteinmangel reduziert die Möglichkeiten eines Muskelaufbaus trotz Trainings. Dies sind wesentliche Aspekte im Hinblick auf die langfristige Reduktion der Schmerzsymptomatik.

Schmerzen können aber nicht allein durch eine Ernährungsumstellung behandelt werden. Diese ist ein Baustein in dem komplexen System der chronischen Schmerzerkrankung.

Ein weiteres Thema, das Schmerzpatient*innen häufig beschäftigt, und damit auch ihre Ärzt*innen, sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Eine Unverträglichkeit von Gluten, Laktose und Fruktose ist heutzutage in (fast) aller Munde. Dazu eines vorweg: Nicht jeder, der vermutet, an einer entsprechenden Unverträglichkeit zu leiden, ist tatsächlich betroffen. Die breite Bekanntheit dieser Nahrungsmittelunverträglichkeiten führt oft dazu, dass viele Menschen auf eigene Faust Diäten ausprobieren oder bestimmte Lebensmittelgruppen meiden, da sie sich in der Symptomatik der jeweiligen Unverträglichkeit wiedererkennen. Hierdurch haben sie die Hoffnung auf eine Symptomkontrolle. Diese Maßnahmen können zu einer unnötigen Einschränkung der Ernährung führen, insbesondere wenn keine tatsächliche Unverträglichkeit vorliegt. Auch dies kann wiederum das Risiko einer Mangelernährung mit sich bringen. Daher ist es ratsam, bei Verdacht auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit eine/n qualifizierte/n Ärzt*in zu konsultieren, um eine professionelle Diagnose zu erhalten. Nur so kann eine geeignete und individuell angepasste Ernährungsstrategie entwickelt werden, um mögliche Unverträglichkeiten zu berücksichtigen und gleichzeitig eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten.

Ernährung und chronischer Schmerz sind miteinander verknüpft. Die Nahrungsmittel, die wir täglich zu uns nehmen, können sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Schmerzsymptomatik haben. Daher kann es hilfreich sein, auch die Ernährung – insbesondere die Fehlernährung –bei der Behandlung unserer Schmerzpatienten mit zu berücksichtigen, als weiteren Baustein in der komplexen Behandlung der chronischen Schmerzen.