Stress und Schmerz: Ein ungesundes Verhältnis

Veröffentlicht: 22.Dezember 2022
Author:Julia Soschinski

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Stress zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Bereits jeder fünfte Deutsche leidet darunter – eine Volkskrankheit. Stress und Schmerz stehen dabei in einem unmittelbaren Zusammenhang. Wie gestaltet sich dieser und was kann der Einzelne gegen unvermeidbaren Stress und/oder stressbedingte Schmerzen tun? Das war Thema unserer letzten Schmerzkonferenz in diesem Jahr in der vergangenen Woche. Wir danken Herrn Dr. med. Konstantin Jopt, Facharzt für Anästhesiologie, für seinen informativen und kurzweiligen Beitrag.

Stress: Eine Definition

Stress ist für den Menschen nichts neues. Er wird als die starke Beanspruchung eines Organismus durch innere oder äußere Reize definiert. Bereits 1936 fand die Begrifflichkeit „Stress“ durch den österreichisch-deutschen Arzt Hans Selye (1907-1982) ihren Weg in die Medizin. Dass der Mensch Stress empfinden kann, verdanken wir einem ausgeklügelten physiologischen System: Unserem vegetativen Nervensystem und der Ausschüttung sogenannter Stresshormone. Die Stressreaktion wird durch das Vegetative Nervensystem vermittelt, welches aus zwei Gegenspielern besteht: Dem Sympathischen und dem Parasympathischen Nervensystem. Vereinfacht ausgedrückt dient der Sympathikus der Aktivierung und Erregung des Körpers; der Parasympathikus hingegen der Entspannung und Ruhe. Der ursprüngliche, evolutionäre Sinn der Stressreaktion besteht darin, gefährliche Situationen bewältigen zu können. Denken wir dabei an das klassische Beispiel des auf ein Säbelzahntiger treffenden Neandertalers. Eine solche Gefahrensituation lässt sich durch Kampf, Flucht oder Sich-Tot-Stellen bewältigen. Für die ersten beiden Optionen benötigt der Körper viel Energie, die ihm durch die Auslösung der aktivierenden Stressreaktion zur Verfügung gestellt wird. Für das Sich-Tot-Stellen wird der Energieverbrauch durch eine „herunterfahrende“ Stressreaktion auf das zum Überleben notwendige Minimum gesenkt. Unsere heutige Lebenswelt mag sich zwar vollständig gewandelt haben; die Bewältigung von Stresssituationen verläuft aber immer noch nach demselben Schema und in folgenden Schritten:

  1. Orientierung: Die Situation wird als wichtig/bedrohlich erkannt, unsere Sinne nehmen die verschiedenen Reize wahr
  2. Aktivierung: Die körperliche Alarmreaktion setzt durch die Aktivierung des Sympathikus-Nervs ein
  3. Anpassung: Bewältigung der Situation („Flucht oder Kampf“)
  4. Erholung: Die Anspannung lässt nach, Körper und Geist erholen sich durch die Aktivierung des Parasympathikus-Nervs

Problematisch wird es, wenn die Bewältigung der Stresssituation nicht mehr gelingt, oder aber eine neue Herausforderung auftritt, bevor eine ausreichende Erholung erreicht wurde. Der Körper schaltet in der Folge auf Daueralarm. Dauert dieser Zustand zu lange an, erschöpft sich unsere Widerstandskraft und die Bewältigung von Belastungen gelingt kaum noch, oder gar nicht mehr. Eine lange anhaltende Stressreaktion wirkt sich darüber hinaus oft verstärkend auf die Schmerzverarbeitung aus; anhaltende Schmerzen wiederum werden oft selbst zu einem Stressauslöser. Ein ungünstiger, schmerzverstärkender Kreislauf entsteht.

Ursachen und Symptome eines erhöhten Stresserlebens

Einem lebensbedrohenden Raubtier begegnen wir in unserem Alltag für gewöhnlich nicht mehr. Dennoch sind wir heute deutlich mehr Stressoren ausgesetzt als in der Steinzeit. Wir stehen unter sogenanntem psychosozialen Stress: Der Termindruck bei der Arbeit, die ständige Erreichbarkeit, die Schnelllebigkeit unseres Alltags u.v.m. Kurzum: Immer mehr in immer kürzerer Zeit. Dauerhafter Stress reduziert unsere Leistungsfähigkeit und erhöht die Anfälligkeit für Erkrankungen. Ein erhebliches Maß an subjektivem Leidensdruck, eine erhöhte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems sowie eine Reduktion der Arbeitsproduktivität (und damit einhergehende wachsende volkswirtschaftliche Kosten) sind die Folge. Stress kann sich sehr variabel, auf körperlicher, oder auf psychischer Ebene, manifestieren. Weit verbreitet sind Erschöpfungszustände, Schmerzen, Nervosität, Schlafstörungen und Depressionen.

Gesunder Umgang mit Stress und Stressbewältigung

Was kann die/der Betroffene tun, um diesen ungesunden Kreislauf zu entkommen? Zur Behandlung stress-assoziierter Erkrankungen sind multiple Fachdisziplinen involviert und gefordert. Da Stress und Schmerz eine hohe Wechselwirkung aufweisen, muss der interdisziplinären, multimodalen Schmerztherapie an dieser Stelle eine besonders große Relevanz zugeschrieben werden. Idealerweise setzt man aber an, bevor der Stress krank macht. Um mit Stresssituationen effektiver umgehen zu können, bieten sich diverse Stressbewältigungsstrategien an. Als längerfristige Stressbewältigungs-Strategien kommen vor allem Entspannungsverfahren (u.a. Progressive Muskelentspannung, oder Autogenes Training), regelmäßige Bewegung, ein gesundes und realistisches Zeit-Management, Selbstfürsorge und das Kultivieren von Beziehungsfertigkeiten in Betracht. Dabei ist es stets hoch individuell, was uns dabei hilft, Stress abzubauen. Probieren Sie aus, was Ihnen gut tut. Allerdings muss ein gesunder Umgang mit Stress in vielen Fällen erst erlernt werden. Scheuen Sie sich nicht davor, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn Sie dabei Unterstützung brauchen.