Adipositas & Schmerz: Warum Abnehmen oft schwerer ist, als es klingt
Veröffentlicht: 21.Juli 2025
Author:Julia Soschinski
Adipositas – also starkes Übergewicht – betrifft nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern kann tiefgreifende Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden haben. Für Menschen mit chronischen Schmerzen wird das Thema zusätzlich komplex. Denn Schmerz, Bewegungsmangel, Medikamente und Stress können sich gegenseitig verstärken – ein Teufelskreis entsteht.
In diesem Beitrag zeigen wir, was Adipositas wirklich bedeutet, welche Folgen sie hat, und warum gerade Schmerzpatient*innen bei der Gewichtsabnahme besondere Herausforderungen bewältigen müssen.
Ein spannender Einblick: Die sogenannte Brain-Pull-Theorie, die erklärt, wie das Gehirn unser Essverhalten beeinflusst – oft gegen unseren Willen.
Was ist Adipositas eigentlich?
Adipositas beschreibt eine krankhafte Zunahme des Körperfetts. Sie entsteht, wenn über längere Zeit mehr Energie aufgenommen als verbraucht wird. Die bekannteste Kennzahl ist der Body-Mass-Index (BMI) – liegt dieser über 30, spricht man von Adipositas. Doch BMI allein reicht nicht aus: Entscheidend ist wo sich das Fett im Körper ansammelt.
- „Birnen-Typ“ (gynoide Fettverteilung): Fett lagert sich an Hüften und Oberschenkeln ab – weniger gesundheitsschädlich.
- „Apfel-Typ“ (androide Fettverteilung): Fett sitzt im Bauchraum – dieses sogenannte viszerale Fett wirkt wie ein eigenes Organ, produziert Entzündungsstoffe und ist gefährlich für Herz und Stoffwechsel.
Warum Adipositas so viele Gesundheitsprobleme verursacht
Adipositas kann eine Reihe von schweren Folgeerkrankungen nach sich ziehen – unter anderem:
- Stoffwechselstörungen wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen – das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steigt deutlich
- Fettstoffwechselprobleme in der Leber
- Krebserkrankungen, besonders hormonabhängige und im Verdauungstrakt
- Gelenkverschleiß durch übermäßige Belastung von Knie und Hüfte
Diese sogenannten Komorbiditäten erhöhen nicht nur das Krankheitsrisiko – sie erschweren auch die Therapie von Schmerzen.
Warum Abnehmen bei Schmerz so schwer ist
Viele Schmerzpatient*innen möchten ihr Gewicht reduzieren – und stoßen trotzdem auf Frust. Warum? Weil Schmerz den Alltag verändert – und mit ihm oft auch die Lebensgewohnheiten:
- Bewegung ist eingeschränkt, der Energieverbrauch sinkt.
- Stress, Müdigkeit oder depressive Verstimmungen führen zu mehr Appetit – vor allem auf schnelle Kohlenhydrate.
- Fertiggerichte statt frisch Gekochtem sind oft die Folge von Antriebslosigkeit.
- Medikamente wie Antidepressiva oder Cannabis können zusätzlich den Appetit steigern.
Diese Faktoren verstärken sich oft gegenseitig – mit dem Ergebnis, dass selbst motivierte Patient*innen oft nicht weiterkommen.
Die „Selfish-Brain-Theory“: Wenn das Gehirn Energie an sich reißt
Eine faszinierende Erklärung dafür, warum Abnehmen so schwer sein kann, liefert die sogenannte Selfish-Brain-Theory.
Sie beschreibt das Gehirn als eine Art „Energieboss“, der dafür sorgt, dass es selbst zuerst versorgt wird – auch auf Kosten anderer Organe. Das Gehirn verbraucht etwa 20 % der Energie unseres Körpers, obwohl es nur 2 % wiegt. Besonders unter Stress braucht es noch mehr – und holt sich diese Energie, wo es nur kann.
Zwei Reaktionstypen unter Stress:
- Habituierer: Ihr Gehirn spart unter Dauerstress Energie. Sie essen mehr, um das Gehirn zu „beruhigen“ – es kommt zur Gewichtszunahme durch sogenanntes „Body-Pull“-Verhalten.
- Nicht-Habituierer: Ihr Gehirn bleibt dauerhaft in Alarmbereitschaft. Es zieht sich gezielt Energie aus anderen Körperreserven – z. B. über Zucker oder Ketone. Dieses „Brain-Pull“-Verhalten kann zu Muskelabbau, innerer Unruhe, Kopfschmerzen oder Bauchfettzunahme führen. Kurz gesagt: Selbst wenn man versucht, weniger zu essen, kann das Gehirn Signale senden, die Appetit und Nahrungsaufnahme erhöhen. Ein echtes Dilemma – und eine Erklärung, warum reine „Willenskraft“ oft nicht reicht.
Fazit: Warum ein ganzheitlicher Ansatz entscheidend ist
Für Schmerzpatient*innen ist eine Gewichtsreduktion zwar häufig sinnvoll – aber alles andere als einfach. Wichtig ist:
- Realistische Ziele statt strenger Diäten
- Individuell abgestimmte Therapie, die Bewegung, Ernährung und Verhalten kombiniert
- Psychologische Unterstützung, um Stress und emotionale Auslöser besser zu verstehen
- Akzeptanz, dass es manchmal langsamer geht – und dass Rückschritte dazugehören
Erfolgreiche Therapie beginnt nicht auf der Waage, sondern mit Verständnis für den eigenen Körper. Wer die biologischen, psychischen und sozialen Zusammenhänge erkennt, hat bessere Chancen, langfristig etwas zu verändern.
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