Endometriose & Chronische Beckenschmerzen: Ein oft verkannter Leidensweg
Veröffentlicht: 9.September 2025
Author:Julia Soschinski
Endometriose ist eine der häufigsten gutartigen gynäkologischen Erkrankungen bei Frauen im gebärfähigen Alter. Weltweit sind etwa 270 Millionen Frauen betroffen, davon allein in Deutschland rund 2 Millionen, mit bis zu 40.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Es handelt sich um eine chronische, entzündliche und hormonabhängige Erkrankung, bei der sich Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle ansiedelt.
Obwohl so viele Frauen betroffen sind, vergehen in Deutschland im Durchschnitt 8 bis 10 Jahre bis zur Diagnosestellung. Diese Verzögerung führt oft zu einem langen Leidensweg.
Was ist das Chronische Beckenschmerzsyndrom (CPPS) und wie hängt es mit Endometriose zusammen?
Das Chronische Beckenschmerzsyndrom (CPPS) bezeichnet anhaltende Schmerzen im Unterbauch- Beckenbereich. Ca. 50-70% der Frauen, die unter CPPS leiden, haben eine Endometriose. Dies unterstreicht die enge Verbindung zwischen diesen beiden komplexen Krankheitsbildern.
Vielfältige Symptome: Endometriose ist mehr als nur starke Regelschmerzen
Die Endometriose kann eine Vielzahl von Beschwerden verursachen, die oft spezifisch, aber auch unspezifisch sein können und das tägliche Leben stark beeinträchtigen.
Spezifische Beschwerden können sein:
- Starke Schmerzen während der Menstruation (Dysmenorrhoe)
- Zyklische und azyklische Unterbauchschmerzen
- Beckenschmerzen, die bereits vor der ersten Regelblutung (Menarche) auftreten können
- Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie)
- Zyklische Blasen- und Darmbeschwerden (Dysurie und Dyschezie)
- Endobelly (ein häufiger Blähbauch)
- Unfruchtbarkeit
- Intermenstruelle Blutungen
Unspezifische Begleitbeschwerden können:
- Blasenbeschwerden oder Reizblase
- Schmerzen, die in die Beine oder den Rücken ausstrahlen
- Vegetative Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Magenbeschwerden, Schwindel, chronische Erschöpfung und/oder
- Kopfschmerzen umfassen.
Patientinnen berichten oft von „starken, krampfenden Schmerzen im Bauch und Unterleib, die auch in den Rücken oder in die Beine gehen“ und perimenstruell am schlimmsten sind. Viele erleben auch Schmerzen beim Stuhlgang, Wasserlassen, Erschöpfung, Depressionen und Grübeln.
Warum Endometriose so schmerzhaft ist: Die Mechanismen hinter dem Schmerz
Der Schmerz bei Endometriose ist komplex und kann verschiedene Ursachen haben:
- Nozizeptive Schmerzen (Entzündungsschmerz): Bei starken Schmerzen, insbesondere während der Menstruation, werden Schmerz- und Entzündungsmediatoren freigesetzt. Diese aktivieren Schmerzfasern und führen zur Ausschüttung von Botenstoffen wie Glutamat im Rückenmark. Dieser Schmerz ist oft gut mit Schmerzmitteln wie NSAR (z.B. Ibuprofen) oder einer hormonell herbeigeführten Amenorrhoe (Ausbleiben der Regelblutung) beherrschbar.
- Neurogene Entzündung: Endometriose-Läsionen können hormonunabhängig aktiv werden. Sie entwickeln eine erhöhte Nervendichte (Hyperinnervation) und ein Ungleichgewicht von entzündungsfördernden und entzündungshemmenden Botenstoffen. Dies kann zu azyklischen Schmerzen führen, bei denen herkömmliche NSAR oft nicht mehr ausreichen.
- Adhäsionsbedingte Schmerzen: Verwachsungen (Adhäsionen) durch die Endometriose können ebenfalls Schmerzen verursachen und dazu führen, dass ursprünglich zyklische Schmerzen azyklisch werden.
- Bewegungsapparat und Beckenboden: Chronische Schmerzen können zu Fehl- und Schonhaltungen führen. Dies wiederum kann eine reflektorische Verkrampfung der Beckenbodenmuskulatur verursachen, die den gesamten Bewegungsapparat in Mitleidenschaft zieht. Eine solche Beckenbodendysfunktion kann Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Wasserlassen oder Stuhlgang sowie eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) verursachen.
- Zentrale Sensibilisierung (Schmerzgedächtnis): Unbehandelte starke Schmerzreize können im Gehirn und Rückenmark ein „Schmerzgedächtnis“ entwickeln. Es kommt zu Veränderungen in der Schmerzverarbeitung: Das nozizeptive Feld erweitert sich, was dazu führt, dass leichte Reize als Schmerz empfunden werden (Allodynie) oder normale Schmerzreize stärker wahrgenommen werden (Hyperalgesie). fMRT-Studien zeigen sogar Veränderungen in bestimmten Gehirnbereichen bei Frauen mit chronischen Beckenschmerzen.
Auswirkungen auf Lebensqualität und psychische Gesundheit
Endometriose hat nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychologische und soziale Auswirkungen. Frauen mit Endometriose und Beckenschmerzen haben eine schlechtere Lebensqualität und psychische Gesundheit im Vergleich zu Frauen mit asymptomatischer Endometriose oder gesunden Kontrollpersonen. Patientinnen berichten von stärkeren Schmerzen und einer größeren Schmerzbeeinträchtigung.
Die Erkrankung ist zudem mit höheren sozioökonomischen Kosten verbunden: pro Frau und Jahr können diese bis zu ca. 9600 € betragen, hauptsächlich durch Arbeitsausfall und Produktivitätsverlust. Endometriose kann auch mit anderen chronischen Schmerzzuständen einhergehen, wie zum Beispiel einer erhöhten Prävalenz (Vorkommen) von Migräne und Fibromyalgie.
Diagnose & Untersuchung: Der Weg zur richtigen Behandlung
Angesichts der langen Diagnosezeit ist eine sorgfältige Schmerzanamnese von entscheidender Bedeutung. Als Schmerztherapeut*in konzentriert sich die Untersuchung auf das Abdomen, die Beckenmuskulatur und den Bewegungsapparat, ohne vaginale oder rektale Untersuchungen, wie sie bei anderen Beschwerdebildern üblich wären.
Therapie: Ein multimodaler Ansatz ist entscheidend
Eine kausale Heilung der Endometriose gibt es bisher leider nicht. Die Basistherapie umfasst oft eine Hormontherapie (um eine therapieinduzierte Amenorrhoe zu erreichen) und gegebenenfalls operative Eingriffe durch Gynäkolog*innen.
Da Endometrioseschmerz als sogenannter „Mixed Pain“ betrachtet wird – ein chronischer nozizeptiv-neuropathischer Schmerz, der sich jeden Monat als „acute on chronic“ (akut auf chronisch) äußert – ist eine umfassende schmerztherapeutische Behandlung entscheidend.
Medikamentöse Therapie:
- Nicht-Opioid-Analgetika: Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen, Metamizol, Paracetamol, Coxibe. Bei mangelnder Wirkung kann eine Kombination sinnvoll sein.
- Nicht-BTM-pflichtige Opioide: Retardiertes Tramadol, Tilidin (in niedriger Dosierung) Immer unter schmerztherapeutischer Begleitung.
- Koanalgetika (begleitende Medikamente): Pregabalin, Gabapentin, Duloxetin, Venlafaxin, Amitriptylin, Mirtazapin.
- Spasmolytika (krampflösende Mittel wie Butylscopolamin) und Muskelrelaxantien (wie Methocarbamol).
- Medizinisches Cannabis kann ebenfalls eine Option sein.
Nicht-medikamentöse Schmerztherapie (zur Stärkung der Selbstwirksamkeit):
- Ausführliche Aufklärung über die Erkrankung.
- Physiotherapie und Osteopathie (z.B. Tanzberger und Pohl).
- Yin Yoga und Entspannungsübungen in Eigenregie.
- Physikalische Therapie: TENS-Gerät (transkutane elektrische Nervenstimulation)
- Ernährung: Eine pflanzenbetonte, ausgewogene Ernährung mit antiinflammatorischen Eigenschaften wird empfohlen. Bei zyklischem Blähbauch kann ein Ausprobieren von zucker- oder glutenfreier Ernährung vor der Periode hilfreich sein. Nahrungsergänzungsmittel wie Zink, Vitamin D, Vitamin C, Magnesium und Omega-3-Fettsäuren können sinnvoll sein.
- Ambulante Psychotherapie zur Schmerzbewältigung.
- Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie (IMST): Ein umfassendes Therapiekonzept im stationären oder teilstationären Setting, das verschiedene Fachrichtungen und Ansätze kombiniert.
Fazit: Frühzeitig handeln und interdisziplinär denken
Die anhaltenden Beschwerden bei Endometriose erfordern oft die Anbindung an eine Schmerzambulanz. Um eine Schmerzchronifizierung zu verhindern, ist eine frühzeitige Einleitung der Medikation und der nicht-medikamentösen Therapien entscheidend.
Denken Sie daran: Endometriose ist eine komplexe Erkrankung, die eine ganzheitliche, interdisziplinäre Herangehensweise benötigt. Lassen Sie sich nicht entmutigen und suchen Sie aktiv Unterstützung.
Es ist erfreulich, dass Endometriose in den letzten Jahren zunehmend öffentliche Beachtung findet und viele junge Betroffene ihre Stimmen erheben, um zur Aufklärung beizutragen. Auch wenn weltweit verstärkt in die Forschung investiert wird, stehen wir doch angesichts der fehlenden kausalen Therapie und der durchschnittlich langen Diagnosezeit von 8-10 Jahren erst am Anfang. Weiterhin bedarf es intensiver Anstrengungen in Aufklärung und Forschung, um den unnötig langen Leidensweg endlich zu verkürzen und Betroffenen früher und effektiver zu helfen.
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