Komplexes Regionales Schmerzsyndrom (CRPS) – Versagen der Standardtherapie: Was dann?
Veröffentlicht: 10.Juli 2024
Author:Julia Soschinski
Komplexes Regionales Schmerzsyndrom (CRPS) – Versagen der Standardtherapie: Was dann?
Wir danken Frau Dr. Thoma-Jennerwein, die in der letzten Schmerzkonferenz Anfang dieser Woche über das CRPS und dessen Therapieoptionen berichtet hat.
Was bedeutet CRPS?
CRPS steht für „Complex Regional Pain Syndrome“, auf Deutsch „Komplexes Regionales Schmerzsyndrom“. Es handelt sich um eine chronische, posttraumatische Schmerzerkrankung, die nach einer Verletzung der Extremitäten (Arme/Beine) auftreten kann. Diese Verletzungen können in Form von Operationen, Knochenbrüchen oder Prellungen erfolgt sein. Anstatt zu heilen, verschlimmern sich die Schmerzen und sind nicht mehr durch das ursprüngliche Trauma erklärbar. Typischerweise betrifft CRPS die Hände und/oder Füße und tritt bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger auf als bei Männern. Die meisten Fälle manifestieren sich im Alter zwischen 40 und 70 Jahren. Die genaue Ursache der Erkrankung ist noch nicht abschließend geklärt, weshalb sie nach wie vor Rätsel für Mediziner darstellt. Es wird zudem von einer hohen Dunkelziffer an Betroffenen ausgegangen. Selten tritt CRPS auch spontan auf.
Pathophysiologie
CRPS entsteht durch eine Fehlfunktion im Nervensystem, wobei der genaue Mechanismus noch nicht vollständig verstanden ist. Es wird angenommen, dass eine anhaltende Entzündung und eine Fehlregulation des autonomen Nervensystems eine zentrale Rolle spielen. Zusätzlich können Veränderungen im Rückenmark und Gehirn, die die Schmerzverarbeitung betreffen, zur Symptomatik beitragen.
Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt rein klinisch, also durch die Betrachtung der vorliegenden Symptome und den Ausschluss anderer möglicher Erkrankungen. Neben ausgeprägten Schmerzen leiden Betroffene unter entzündlichen Symptomen (Schwellungen, Veränderungen der Hautfarbe und der Temperatur der betroffenen Region, Veränderungen beim Nagel und Haarwachstum), reduzierter Beweglichkeit und reduzierter Kraft, sowie Störungen der Sensibilität. Manche Patient*innen empfinden das betroffene Areal nicht mehr als „zum eigenen Körper gehörend“. CRPS macht Angst. Man versteht den eigenen Körper nicht mehr. Die Psyche leidet und die Lebensqualität sinkt rapide. Oft werden Patient*innen mit ihren „rätselhaften“ Schmerzen nicht richtig ernst genommen und sehr häufig dauert es zu lange, bis sie auf den richtigen Ansprechpartner treffen und die Erkrankung diagnostiziert wird. Dabei gilt: Je früher die Diagnose gestellt wird, desto erfolgreicher lässt sich CRPS behandeln.
Der Verdacht auf CRPS entsteht durch:
- Symptomatik (Schmerz und sichtbare Klinik im zeitlichen Zusammenhang mit einem Extremitätentrauma)
- Symptome, die durch das Trauma selbst nicht mehr erklärbar sind
- Symptome, die die distalen Extremitätenabschnitte betreffen und über die Traumastelle bzw. das Innervationsterritorium hinausgehen
- Ausschluss anderer Differentialdiagnosen durch adäquate Methoden
Die klinische Diagnosestellung erfolgt anhand folgender Kriterien:
Symptomkategorien:
- Hyperalgesie, Hyperästhesie, Allodynie
- Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe
- Asymmetrie im Schwitzen, Ödem
- Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, Schwäche, Veränderungen von Haar- und Nagelwachstum
Die Diagnose „CRPS“ wird gestellt, wenn alle vier Punkte erfüllt sind:
- Anhaltender Schmerz
- Anamnese: ≥1 Symptom aus 3 der 4 genannten Symptomkategorien
- Untersuchung: ≥1 Symptom aus 2 der 4 genannten Symptomkategorien
- Ausschluss von Differentialdiagnosen
Standardtherapie des CRPS
Die Standardtherapie von CRPS basiert auf vier Säulen:
Physikalische Therapie:
- Ergotherapie
- Physiotherapie
- Lymphdrainage
- Weitere Maßnahmen wie Bäder und TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation)
- Weitere Informationen zur Physiotherapie beim CRPS erhalten Sie auch hier.
Psychologische Interventionen:
- Entspannungs- und Imaginationsverfahren
- Krisenintervention
- Biofeedback
- Verhaltensanalysen und -Übungen sowie kognitive Interventionen zur Überwindung von Bewegungsangst
Medikamentöse Schmerztherapie:
- Entzündungshemmend: Glukokortikoide
- Antineuropathisch: Antikonvulsiva, Antidepressiva, Opioide
- Antioxidativ: DMSO für warmes CRPS, N-Acetylcystein für kaltes CRPS
- Beeinflussung des Knochenstoffwechsels: Bisphosphonate
- Behandlung von dystonischem CRPS: Baclofen, ggf. Botulinumtoxin
Patientenschulung und Unterstützung des Selbstmanagements:
- Umfassende Aufklärung über die Erkrankung
- Unterstützung beim Selbstmanagement
Therapieansätze bei Versagen der Standardtherapie
Wenn die Standardtherapie versagt, gibt es alternative Ansätze, die in Erwägung gezogen werden können:
Ketamin-Therapie
Eine einmalige stationäre Dauerinfusion von Ketamin kann bei bestimmten Patient*innen zu signifikanten Schmerzreduktionen führen. Allerdings ist die Evidenz gering (hohe Heterogenität der Studien) und es sind zahlreiche Nebenwirkungen möglich. Die Höhe der Ketamindosis scheint mit der Wirkung und Wirkdauer zu korrelieren. Der analgetische Effekt zeigt sich hier unabhängig von der Dauer der Erkrankung.
Neuromodulation
Neuromodulatorische Therapieoptionen können nach Ausschöpfen konservativer Maßnahmen UND nach dem Ausschluss psychologischer/psychiatrischer Kontraindikationen angeboten werden. Dabei kommen vor allem die Spinal Cord Stimulation (SCS) und die Dorsal Root Ganglion Stimulation (DRG) in Betracht:
SCS:
Diese Methode beinhaltet die Platzierung von Elektroden im Epiduralraum des Rückenmarks, die durch elektrische Impulse die Schmerzsignale modulieren und somit die Schmerzempfindung reduzieren können.
Dorsal Root Ganglion Stimulation (DRG):
Eine weitere invasive Technik zur Schmerzbehandlung. Diese Methode zielt auf spezifische Nervenganglien ab und kann besonders effektiv bei fokalen Schmerzen sein, indem sie gezielt die Schmerzübertragung unterbricht. In Studien zeigt sich, dass die DRG der SCS bei der Therapie eines CRPS überlegen ist.
Amputation als Ultima Ratio?
In extremen Fällen kann eine Amputation bei schwerem, therapieresistentem CRPS als letzte Option erwogen werden. Diese Entscheidung sollte nach umfassender Aufklärung und unter Berücksichtigung aller vorherigen Therapieversuche getroffen werden. Studien zeigen, dass eine Amputation die Lebensqualität verbessern kann, aber auch mit erheblichen Komplikationen wie Phantomschmerzen und Stumpfschmerzen verbunden ist. Der Großteil der Patient*innen leidet weiterhin unter Schmerzen. Die Evidenz ist limitiert und es liegen aus ethischen Gründen keine randomisierten, kontrollierten Studien vor. Eine Amputation ist daher immer als Ultima Ratio zu betrachten.
Fazit
CRPS ist eine komplexe und schwerwiegende Erkrankung, die einer individuellen und interdisziplinären Therapie bedarf. Wenn die Standardtherapie versagt, können spezialisierte Ansätze und invasive Maßnahmen notwendig werden. Eine umfassende Aufklärung und Unterstützung der/s Patient*in sind hierbei essenziell, um die bestmöglichen Behandlungsergebnisse zu erzielen.
CRPS ist ein Notfall
CRPS sollte als Notfall angesehen werden, da akuter Handlungsbedarf besteht. Die ersten Monate nach der Manifestation der Krankheit sind entscheidend. Sollten Sie den Verdacht haben, betroffen zu sein, können Sie sich gerne an uns wenden.